Die Selektion
von Entebbe

Am 27. Juni 1976 entführten vier TerroristInnen ein Flugzeug der Air France von Tel Aviv nach Paris beim Zwischenhalt in Athen und nahmen die 258 Fluggäste sowie das zwölfköpfige Personal in Geiselhaft. Unter den Entführer*innen waren zwei Mitglieder der »Volksfront zur Befreiung Palästinas« sowie mit Brigitte Kuhlmann und Wilfried Böse auch zwei Mitglieder der »Revolutionären Zellen«. Die Bereitschaft, gemeinsame Sache mit palästinensischen Terroristen zu machen, und insbesondere die »Selektion« von jüdischen Passagieren sollten die deutsche Linke mit einiger Zeitverzögerung nachhaltig irritieren.

Als das Flugzeug in der ugandischen Stadt Entebbe landete, teilten die EntführerInnen die Passagiere im Terminal des Flughafens in zwei Gruppen, die eine sollte freigelassen, die andere als Geiseln weiter festgehalten werden. Als maßgebliches Kriterium für diese Aufteilung dienten Kuhlmann und Böse die Pässe: In überwältigender Mehrheit waren es die Passagiere mit israelischer Staatsbürgerschaft sowie durch religiöse Symbole erkennbare Juden, die weiter in Gefangenschaft bleiben mussten. Insbesondere die Überlebenden der Shoah unter den Passagieren fühlten sich dadurch an die Selektionen vor den Konzentrationslagern erinnert. Einer von ihnen, Yitzhak David, soll Wilfried Böse die Nummer, die ihm im Konzentrationslager auf den Unterarm tätowiert wurde, gezeigt haben: Er habe falsch gelegen als er seinen Kindern erzählte, dass Deutschland heute anders sei. Böse reagierte Augenzeugenberichten zufolge nervös und rechtfertigte sich damit, Anschläge in der BRD verübt zu haben, weil es dort personelle Kontinuitäten aus der Zeit des NS gäbe.

Israelische Streitkräfte, die unentdeckt nach Entebbe eingeflogen wurden, konnten schließlich die meisten Geisel befreien, drei von ihnen kamen im Schusswechsel um. Ebenso starben die Geiselnehmer, etwa zwanzig ugandische Soldaten und Yonatan Netanyahu, der israelische Offizier und Bruder des späteren Premierministers Benjamin Netanyahu. In Israel hat sich vor allem die Befreiungsaktion als kulturelle Erzählung einer erfolgreichen Selbstverteidigung eingeprägt. Dagegen herrscht in Deutschland die Bestürzung über die Beteiligung der deutschen Terroristen vor. Joschka Fischer meint etwa in einer – wie einige Biographen annehmen, reichlich geschönten – Rückschau, Entebbe sei entscheidend für seine Abkehr von der Militanz gewesen: »Wir erkannten allmählich, dass diejenigen, die mit der Abkehr von der Elterngeneration als Antifaschisten begonnen hatten, bei den Taten und der Sprache des Nationalsozialismus gelandet waren.«

Ein Foto von der Ausstellung »Die Selektion von Entebbe« in der Bildungsstätte Anne Frank 2017

2017 wurde in der Bildungsstätte Anne Frank eine Ausstellung über die Entführung von Entebbe und den öffentlichen Diskurs darüber gezeigt. Foto: Felix Schmitt

Emma Rosenkovtich

»Were they going to separate
men from women? Parents from
children? It took half an hour
before I understood that all the
Israelis would stay together.«

Wollten sie Männer von Frauen
trennen? Eltern von Kindern?
Es dauerte eine halbe Stunde,
bis ich verstanden habe: alle
Israelis würden zusammenbleiben.«

Emma Rosenkovtich