Gemischte
Tüte

»Entebbe war kein Einzelfall, wohl aber der Kulminationspunkt einer Entwicklung, in deren Verlauf wir uns mehr und mehr von dem entfernt hatten, wofür wir mal angetreten waren. […] Wir machten uns die Losungen des palästinensischen Befreiungskampfes zu eigen und setzten uns darüber hinweg, daß unsere Geschichte eine vorbehaltlose Parteinahme ausschloß. Wir interpretierten den Konflikt mit den Kategorien eines an Vietnam geschulten Antiimperialismus, mit denen er nicht zu ermessen war. Wir sahen Israel nicht mehr aus der Perspektive des nazistischen Vernichtungsprogramms, sondern nur noch aus dem Blickwinkel seiner Siedlungsgeschichte: Israel galt uns als Agent und Vorposten des westlichen Imperialismus mitten in der arabischen Welt, nicht aber als Ort der Zuflucht für die Überlebenden und Davongekommenen, der eine Notwendigkeit ist, solange eine neuerliche Massenvernichtung als Möglichkeit von niemandem ausgeschlossen werden kann, solange also der Antisemitismus als historisches und soziales Faktum fortlebt.«

Dieses Zitat stammt aus einer Stellungnahme der Revolutionären Zellen (RZ). Die RZ waren eine militante linke Gruppierung mit antiimperialistischem und palästinasolidarischem Selbstverständnis, die von den 1970ern bis in die 1990er aktiv war und in dezentral organisierten Kleingruppen für zahlreiche Anschläge verantwortlich war. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten auch Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann, die beiden deutschen Terroristen, die bei der Flugzeugentführung von Entebbe 1976 dafür verantwortlich waren, eine Selektion der Geiseln in jüdische und nicht-jüdische Passagiere durchzuführen. Der Text reflektiert auch diese Ereignisse. Für eine solche selbstkritische Veröffentlichung bedurfte es allerdings erst der Hinrichtung ihres Genossen Gerd Albertus durch eine Gruppe, die sich dem palästinensischen Widerstand zuordnete. (Revolutionäre Zellen, Dezember 1991)

»Es gibt für die europäische Linke keinen Grund, ihre Solidarität mit den Verfolgten aufzugeben, sie reicht in die Gegenwart hinein und schließt den Staat Israel mit ein.«

Ulrike Meinhof in der Zeitschrift »Konkret« im Juli 1967 in einem Leitartikel anlässlich des Sechs-Tage-Krieges

»Wer von Befreiung träumt, von den Schattenseiten des Befreiungskampfes aber nichts wissen will, hängt naiven Revolutionsvorstellungen nach, die dessen Wirklichkeit nicht standhalten.«

Revolutionäre Zellen, Dezember 1991

»Israel vergießt Krokodilstränen. Es hat seine Sportler verheizt wie die Nazis die Juden – Brennmaterial für die imperialistische Ausrottungspolitik. Sie benutzt München eben gerade nicht als Vorwand, wenn es jetzt palästinensische Dörfer bombt – es tut, was es sowieso tut als imperialistisches System: es bombt gegen die Befreiungsbewegung. Es bombt, weil die arabischen Völker die Aktion des Schwarzen September begriffen haben, weil die Aktion von den Massen verstanden worden ist: daß ihr Feind nicht nur Israel ist, daß ihr Feind der Imperialismus ist, daß nicht nur Israel blutrünstig ist, nicht nur die USA gegenüber Vietnam, sondern der ganze Imperialismus gegen alle Befreiungsbewegungen, daß es ohne antiimperialistischen Kampf keinen Sieg im Volkskrieg gibt.«

Rote Armee Fraktion (RAF) in ihrem Positionspapier zum Münchner Olympia-Attentat der palästinensischen Terrorgruppe Schwarzer September.

Die Mitglieder des »Schwarzen September« nahmen bei der Olympiade 1972 die israelischen Sportler als Geiseln, um 200 arabische aber auch deutsche Häftlinge, namentlich Ulrike Meinhof und Andreas Baader, freizupressen. Eine der Geiseln, Moshe Weinberg, wurde bereits zu Beginn der Geiselnahme erschossen und Josef Romano wurde angeschossen und starb wenig später, weil ihm medizinische Hilfe von den Geiselnehmern verweigert wurde. Der Versuch seitens deutscher Behörden, die Geiselnahme zu beenden, endete im Desaster: sämtliche israelische Geiseln starben und auch fünf der Terroristen und ein Polizist wurden erschossen. Die RAF kommentierte das Geschehen in einer Stellungnahme und rechtfertigte und lobte die Aktion als revolutionär, antiimperialistisch, antifaschistisch und internationalistisch. Israel wird klar als Feind im antiimperialistischen Kampf genannt. NS-Vergleiche sind dabei willkommen, es wird von »Israels Nazi-Faschismus« und »israelischer Ausrottungspolitik« gegenüber den Palästinensern schwadroniert. Der damalige israelische Verteidigungsminister Moshe Dajan wird nicht ›nur‹ als »Schwein« sondern auch noch als »Himmler Israels« bezeichnet.

Gut und Böse erscheinen ganz klar, so heißt es denn auch »Dem Volk dienen! Zwischen uns und dem Feind einen klaren Trennungsstrich ziehen! Den antiimperialistischen Kampf führen!«

»Auschwitz heißt, dass sechs Millionen Juden ermordet und auf die Müllkippe Europas gekarrt wurden als das, als was man sie ausgab – als Geldjuden. Der Antisemitismus war seinem Wesen nach antikapitalistisch. Mit der Vernichtung von sechs Millionen Juden wurde die Sehnsucht der Deutschen nach Freiheit von Geld und Ausbeutung mit ermordet... Ohne dass wir das deutsche Volk vom Faschismus freisprechen – denn die Leute haben ja wirklich nicht gewusst, was in den Konzentrationslagern vorging – können wir es nicht für unseren revolutionären Kampf mobilisieren.«

Ulrike Meinhof, als Zeugin der Verteidigung im Prozess gegen Horst Mahler, am 14.12.1972

Hier behauptet Sie nicht nur, dass der Antisemitismus des NS antikapitalistisch gewesen sei, sondern spricht die Deutschen zudem von jeder Mitschuld und sogar von jeder Mitwisserschaft frei.

»Verlangt ihr von den Überlebenden des Nazi-Gemetzels, dass sie sich um der hehren Prinzipien des antiimperialistischen Kampfes willen ein zweites Mal wehrlos hinschlachten lassen? Jedenfalls liefe Eure Politik genau darauf hinaus«

Der jüdische linke Wissenschaftler und Überlebende der NS-Verfolgung Berthold Simonsohn in einem Brief an seinen Genossen Wolfgang Abendroth am 9.6.1967: Simonsohn kritisiert die antiisraelische Position Abendroths und des SDS, die sich beim Sechs-Tage-Krieg mit den arabischen Staaten solidarisch erklärt hatten.

»Doch neu ist in der Tat die Ansiedlung des als Anti-Israelismus sich gerierenden Antisemitismus auf der Linken. Einst war das der Sozialismus der dummen Kerle. Heute steht er im Begriff, ein integrierender Bestandteil des Sozialismus schlechthin zu werden, und so macht jeder Sozialist sich selber freien Willens zum dummen Kerl. Den Prozeß kann man nutzbringend nachlesen in dem schon vor mehr als einem Jahr in Frankreich bei Pauvert erschienenen Buch ›La Gauche contre Israel‹ von Givet. Es genügt aber auch, gewisse Wegmarken zu erkennen, beispielsweise eine in der Zeitschrift ›konkret‹ erschienene Reportage zu lesen: ›Die dritte Front‹. ›Ist Israel ein Polizeistaat?‹ heisst da ein Zwischentitel. Die Frage ist nur rhetorisch. Natürlich ist Israel das. Und Napalm und gesprengte Häuser friedlicher arabischer Bauern und Araber-Pogrome in den Straßen von Jerusalem. Man kennt sich aus. Es ist wie in Vietnam oder wie es einstens in Algerien war.«

Jean Améry, Der ehrbare Antisemitismus, 1969

Der jüdische Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime und spätere Auschwitz-Überlebende in einem Beitrag, in dem er sich kritisch mit dem neuen Antisemitismus in der Linken auseinandersetzt. Er kritisiert den nach dem Sechs-Tage-Krieg immer verbreiteteren Antizionismus der Linken. Bekannter ist das folgende Zitat aus dem gleichen Text:

»Der Antisemitismus, enthalten im Anti-Israelismus oder Anti-Zionismus wie das Gewitter in der Wolke, ist wiederum ehrbar. Er kann ordinär reden, dann heißt das ›Verbrecherstaat Israel‹. Er kann es auf manierliche Art machen und vom ›Brückenkopf des Imperialismus‹ sprechen«.