Opfer-
Konkurrenzen

»Viele glauben, Linkssein sei
ein Ticket, mit dem man
nicht mehr rassistisch oder
antisemitisch sein kann.«

Eigentlich müsste eine zentrale Frage für Linke ja sein: Wie können wir Sexismus, Antiziganismus, Rassismus, Antisemitismus etc. möglichst wirksam bekämpfen? In der Realität liegt der Fokus bei vielen linken Gruppen allerdings nur bei einem Thema, während das jeweils andere nicht zum Gegenstand von Analyse und Kritik wird oder sogar im Konkurrenzverhältnisse steht.

Besonders heikel wird es derzeit, wenn es um die Beziehung von antimuslimischem Rassismus und Antisemitismus geht. Denn angesichts eines insbesondere seit den Anschlägen vom 11. September 2001 gestiegenen und vielfach öffentlich propagierten antimuslimischen Rassismus betrachten es viele Linke als ihre Aufgabe, sich gewissermaßen schützend vor Muslim*innen zu stellen. Antisemitismus gilt hingegen in einigen linken Kreisen als weitgehend erledigt, wird doch gemeinhin ein antisemitismuskritischer Konsens in der Bundesrepublik angenommen. Diese Einschätzung entspricht aber nicht der von Jüdinnen und Juden, die bei Befragungen eher von einer Zunahme von Antisemitismus im Alltag berichten – Anfeindungen gehen dabei nicht nur, aber wohl zunehmend von migrantischen Personen mit muslimisch-arabischen Hintergrund Muslim*innen bzw. als muslimisch Gelesenen aus. Während viele Linke über Antisemitismus unter Muslimen lieber nicht sprechen, weil sie befürchten, damit deren Diskriminierung zu verstärken, gibt es andere, die Antisemitismuskritik ausschließlich an Muslime adressieren und also den Blick auf die Gesamtgesellschaft verlieren. Allein den Antisemitismus, aber nicht den Rassismus zu kritisieren, kann gegenwärtig bedeuten, rechte Diskurse zu befördern, die von einem Schuldabwehr-Antisemitismus getragen werden und den Antisemitismus der deutschen Dominanzgesellschaft damit abzuwehren versuchen, dass sie diesen allein bei Muslim*innen ausmachen.

Versucht man an dieser Stelle eine Polarisierung zu vermeiden und danach zu fragen, was aus linker emanzipatorischer Perspektive zu tun wäre, so müsste man sich eigentlich der Frage zuwenden, wie sich Rassismus- und Antisemitismuskritik verbinden lassen. Ein Teil dessen wäre es, dass sich die politische Linke – die in Deutschland mehrheitlich weiß und dominanzgesellschaftlich geprägt ist – selbstkritisch auf Leerstellen in ihren Analysen und politischen Praxen hin befragt und nicht versucht, sich mit vermeintlichen Opfergruppen zu identifizieren. Denn der Wunsch auf der ›richtigen‹ Seite der der Unterdrückten und Entrechteten zu stehen, geht allzu oft mit einer Idealisierung derjenigen einher, für die man einzutreten glaubt. Das kann auf der einen Seite zu Philosemitismus und auf der anderen dazu führen, die kritische Auseinandersetzung mit Menschen zu vermeiden, die antisemitische Positionen vertreten, nur weil sie selbst von anderen Formen der Diskriminierung betroffen sind.