Russland, NATO
und Israellobby

Eine um sich greifende Skepsis gegenüber etablierten Medienformaten hat auch Teile derjenigen ergriffen, die sich politisch links verorten. Häufig getragen von friedenspolitischen Anliegen hat sich in den letzten Jahren verstärkt eine ›Gegenöffentlichkeit‹ etabliert, deren Weltdeutungen ganz alltäglich in linke Räume, besonders im Internet eingreifen. Auch wenn niederschwellige Publikationsmöglichkeiten im Netz als Korrektiv der professionellen Presse wichtig sein können, findet hier doch nicht zwangsläufig eine Qualitätskontrolle statt, sodass sich ungehindert Verschwörungsmythen oder fragwürdige politische Positionen verbreiten können. Auf Portalen wie den NachDenkSeiten, free21 oder dem Blog von KenFM wird sich der Anschein von Seriosität gegeben und versucht, Anschluss an friedenspolitisch Interessierte zu finden.

Insbesondere die NachDenkSeiten haben es dabei zu einigem Erfolg gebracht. Seit ihrer Gründung 2003 durch die ehemaligen SPD-Politiker Albrecht Müller und Wolfgang Lieb haben die NachDenkSeiten den Selbstanspruch, »etwas gegen die Einseitigkeit und Flachheit der öffentlichen Debatte tun zu wollen«. In traditionslinken Zusammenhängen tauchen Artikel des Portals häufig auf. Allerdings ist vom Kurs, eine kritische Gegenöffentlichkeit anbieten zu wollen, mittlerweile nicht mehr viel übrig, was nicht zuletzt Lieb selbst bekräftigte, als er 2015 seinen Posten verließ. Die Seite habe sich, so Lieb, »mit einem zunehmenden Anteil von Beiträgen meines Mitherausgebers nach und nach verändert und verengt«. Er führt aus: »Meinem Verständnis von Überzeugungsarbeit entspricht es nicht, wenn man Menschen mit konträrer Meinung als ›gekauft‹, ›nicht unabhängig‹, als ›Agenten der US-Eliten‹ als ›Einflussagenten‹ oder als von ›anderen Kräften‹ oder gar von ›Diensten‹ bestimmt usw. usf. beschimpft.«

Auf dem Portal werden klare Freund-Feind-Linien gezogen: Auf der einen Seite steht das ›Volk‹, das seinen internationalen Bündnispartner vermeintlich in Russland gefunden habe, und auf der anderen Seite die ›Eliten‹ sowie die USA und immer wieder Israel. Die Komplexität moderner Gesellschaften wird hier fälschlich reduziert auf die Gegenüberstellung einer ›natürlichen‹ Gemeinschaft, die angeblich von Interessenhomogenität geprägt sei, und den ›künstlichen‹ Eliten, denen der Kontakt zur realen Welt, den Problemen der einfachen Bürgerinnen und Bürger, abhanden gekommen sei. Häufig geht diese Komplexitätsreduktion mit Verschwörungstheorien einher, wenn etwa der bekannte 9/11-Truther Daniele Ganser zustimmend angeführt wird.

Der Vorwurf des Antisemitismus, den diese Verschwörungstheorien transportieren, wird von den NachDenkSeiten beharrlich zurückgewiesen. Die Ablehnung eines sozialwissenschaftlich und gesellschaftstheoretisch informierten Antisemitismusbegriffs, für welche das Portal beispielhaft stehen ist, bereitet sodann die zahlreichen Texte vor, in denen Israel dämonisiert und delegitimiert wird. Über den Umweg Israel werden so alte antisemitische Bilder in gesellschaftsfähiger Form aktualisiert.

Nikolai Nerling hält auf einer Demonstration ein Schild hoch: »Frieden geht nicht ohne Wahrheit: 1. Islamistischer Terror ist eine Erfindung der westl. Geheindienste. 2. Zionisten stecken hinter den Geheimdiensten. 3. Die Geschichte des Holocaust ist eine Geschichte voller Lügen.«

Der selbsternannte »Volkslehrer« Nikolai Nerling hält unwidersprochen auf einer »Friedens«-Demonstration am 10. Oktober 2016 ein verschwörungsideologisches Plakat. Nerling, der einen YouTube-Kanal unterhält, ist mittlerweile als Grundschullehrer suspendiert worden. Bei kenfm.de wurde für ihn Partei ergriffen. Foto: RechercheNetzwerk Berlin

Verschwörungstheorien

Verschwörungstheorien erfüllen die Funktion, komplexe gesellschaftliche Verhältnisse zu vereinfachen. Sie stellen den gescheiterten Versuch dar, unverstandene Phänomene der Moderne auf den Begriff zu bringen. Dabei arbeiten sie vor allem mit Personalisierungen. Abstrakte Prozesse des modernen Kapitalismus und globaler Beziehungen werden massiv in ihrer Komplexität reduziert und auf das Wirken einer kleinen, bösartigen Personengruppe zurückgeführt. Jedoch ist der Kapitalismus kein Prozess, der intentional von jemandem gesteuert werden wird – eine Einsicht, die so notwendig wie beängstigend ist –, sondern der bewusstlos abläuft und in dem letztlich alle austauschbar sind: Jede*r Einzelne ist im Kapitalismus ersetzbar und kann überflüssig gemacht werden. Um sich dieser kränkenden Wahrheit nicht stellen zu müssen, spinnt die Verschwörungstheorie ein Konstrukt, in welchem es dann doch auf Einzelne ankommt: Hier steht immer eine Gemeinschaft angeblich Aufgeklärter den sinistren Machenschaften einer geheimen und mächtigen Fremdgruppe gegenüber.

Eine der bekanntesten antisemitischen Verschwörungstheorien seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind die »Die Protokolle der Weisen von Zion«, erfundene Protokolle einer angeblichen Zusammenkunft von jüdischen Weltverschwörern. Auch heute findet sich eine Palette solcher Verschwörungstheorien, sie kursieren besonders stark in den sozialen Netzwerken. So spinnt sich eine ganze Reihe solcher Vorstellungen um den Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001: Der sei angeblich kein islamistischer Anschlag gewesen, sondern letztlich auf eine jüdische Weltverschwörung zurückzuführen. Andere versuchen sogar Migrationsbewegungen auf entsprechende Machenschaften in Verbindung zu bringen. Dabei werden nicht nur die komplexen weltgesellschaftlichen Zusammenhänge wie globale Ungleichheit, Klimawandel und Kriege ausgeblendet, die zum Versuch vieler Menschen führen, sich andernorts ein sicheres Leben aufzubauen. Zudem wird auch die jeweils eigene Mitverantwortung für sozial katastrophale Zustände geleugnet, die Menschen dazu veranlassen, ihr bisheriges Leben aufzugeben und die vielfach extrem gefährliche Flucht auf sich zu nehmen.