Wie hältst
du es mit Israel?
Die ›Spaltung‹ der deutschen Linken lässt sich nicht auf ein Ereignis oder eine zentrale Zäsur datieren sondern muss als Prozess entlang verschiedener Diskussionspunkte vorgestellt werden: Im Mittelpunkt der Debatten steht der Begriff von Antisemitismus, sein Stellenwert in Theorie und Praxis, das Verhältnis zu den deutschen Verbrechen im Nationalsozialismus, die politische Einschätzung von DDR und Wiedervereinigung, sowie immer wieder Israel.
Der Bruch durch den
›Sechs-Tage-Krieg‹ 1967
Keine europäische Linke war vor dem sogenannten Sechs-Tage-Krieg 1967 so proisraelisch und danach so antiisraelisch eingestellt wie die deutsche Linke. Viele Linke unterstützten den Staat Israel nach seiner Gründung 1948 zunächst noch. Zum einen, weil es der Staat der Jüdinnen und Juden war, die der deutschen Vernichtungspolitik entrinnen konnten, und zum anderen, weil der Aufbau des Staates durchaus mit viel sozialistischem Idealismus betrieben wurde, wie er sich gerade in den Kibbuzim zeigte. Nachdem sich Israel 1967 militärisch verteidigt hatte, galt der junge Staat vielen Linken aber als Aggressor und Besatzungsmacht, und man identifizierte sich zunehmend mit dem palästinensischen Kampf gegen Israel, der als anti-imperialistischer Befreiungskampf interpretiert wurde. Diese unbedingte Unterstützung der Palästinenser*innen war von einem Antizionismus mit fließendem Übergang zum Antisemitismus begleitet und lange Zeit wenig hinterfragter Konsens in der deutschen Linken.
Das änderte sich in Teilen innerlinker Auseinandersetzungen während des zweiten Golfkrieges 1990/91. Viele Linke engagierten sich nun in der Friedensbewegung, die den militärischen Einsatz der USA gegen den Irak kritisierte. Die USA hatten militärisch interveniert, nachdem die irakische Armee in Kuweit einmarschiert war und politische Druckmittel keine Wirkung zeigten. Für die Friedensbewegung waren die Fronten klar, man war gegen den »US-Imperialismus«. Das blieb auch so als der Irak das unbeteiligte Israel mit Scud-Raketen angriff und das Land in einen Ausnahmezustand versetzte. Doch die Bedrohung Israels war in der Friedensbewegung so gut wie kein Thema, was einige Linke zur Kritik veranlasste.
Bruch durch die
›Wiedervereinigung‹ 1989
Zeitgleich spitzte sich ein weiterer Konflikt zu: Im Nachklang der Wiedervereinigung kam es deutschlandweit zu pogromartigen rassistischen Ausschreitungen, Brandanschlägen auf Unterkünfte für Geflüchtete sowie mehreren Mordanschlägen wie in Mölln, Solingen oder Lichtenhagen. In diesem Klima bildeten sich in der radikalen Linken zwei Fronten: Während Stimmen laut wurden, man müsse sich nach dem Ende der DDR kritisch am »Sieg des Kapitalismus« abarbeiten, sprachen andere davon, dass das Problem vor allem der deutsche Nationalismus sei. Die kritische Auseinandersetzung mit Letzterem setzte bereits in den 1980er Jahren ein, als mehrere öffentlichkeitswirksame Versuche erfolgten, den Nationalsozialismus zu normalisieren, also lediglich als eine Diktatur unter vielen zu begreifen. Die Kritik eines verkürzten Faschismusbegriffs, der Antisemitismus ausklammert und der auch in der politischen Linken Verbreitung fand, mündete u.a. im breiter aufgestellten »Nie wieder Deutschland«-Bündnis, das 1990 auf die Straße ging.
Aus einer antinational geprägten Linken entwickelte sich eine »antideutsche« Richtung. Der zentrale Bezugspunkt ihrer politischen Analyse war die nationalsozialistische Vernichtungspolitik und infolgedessen Antisemitismus- und Nationalismuskritik ihre vorrangige Aufgabe. Während die Kritik anfangs noch dezidiert als linke Selbstkritik eingefordert wurde, lösten sich einige Antideutsche von diesem Anspruch und näherten sich rechtskonservativen Positionen an.
Somit waren zwei Themenfelder antideutscher Kritik an der Linken eröffnet: Zum einen ging es um Antisemitismus- und Nationalismuskritik in einer Linken, die sich fern jeglicher Selbstreflexion frei von Antisemitismus und geschichtlicher Verstrickungen wähnte. Zum anderen ging es um die Infragestellung des antiisraelischen linken Konsenses sowie einer ungebrochenen Solidarität mit dem palästinensischen Kampf, der meist kein Verständnis mehr für die israelische Perspektive bot. Beide Aspekte treffen in der Kritik an Geschichtsvergessenheit und Motiven deutscher Schuldabwehr zusammen.
Nie wieder Deutschland
1990 fand unter der Parole »Nie wieder Deutschland« ein breites außerparlamentarisches linkes Bündnis zusammen, das gegen die Wiedervereinigung protestierte. Kritisiert wurden deutscher Nationalismus und deutsches Großmachtstreben angesichts der Vereinigung von BRD und DDR. Die rassistischen Pogrome Anfang der 1990er Jahre untermauerten die Sorge um das Wiederaufleben deutschen Größenwahns.
Die »Nie wieder Deutschland«-Kampagne war stark von der Beschäftigung mit deutscher Geschichtspolitik geprägt, was eine Antisemitismus-Debatte anregte, die sich zunächst um die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte drehte. Kurz darauf rückte der Nahostkonflikt immer stärker in den Fokus.
Israelbezogener Antisemitismus
Eine der wohl am häufigsten gestellten Fragen ist, ob denn die Politik Israels überhaupt noch kritisiert werden dürfte oder ob jede Kritik daran per se antisemitisch sei. Das ist natürlich nicht der Fall und es wird auch kaum ein anderes Land der Welt so oft und leidenschaftlich kritisiert. Jedoch überschreitet diese Kritik regelmäßig eine Grenze, für die sensibel sein sollte, wer keine antisemitischen Ressentiments kolportieren möchte. Diese Grenze zeichnet sich bereits im Wort »Israelkritik« ab, das immerhin 2017 in den Duden aufgenommen wurde, das aber mit keinem anderen Land eine Entsprechung findet: Von »Schwedenkritik« oder »Nordkoreakritik« hört man eigentlich nie.
Der Politiker und Autor Natan Scharanski entwickelte einen Test, der dabei helfen soll, die Kritik an einzelnen politischen Entscheidungen Israels von israelbezogenem Antisemitismus zu unterscheiden: der sogenannte 3D-Test. Die drei D stehen für:
- Dämonisierung
- Wenn Israel in den dunkelsten Farben gezeichnet und etwa unterstellt wird, die Politiker*innen seien blutrünstig oder Israel strebe einen Völkermord an den Palästinenser*innen an.
- Delegitimierung
- Wenn behauptet wird, die Israelis hätten kein Recht in ihrem Staat zu leben, und beispielsweise die historische Verbindung der Jüdinnen und Juden zu dem Land geleugnet wird.
- Doppelstandards
- Wenn israelische Politik nach anderen moralischen Maßstäben als andere Länder beurteilt wird, etwa wenn Israel das Recht abgesprochen wird, sich gegen Militärangriffe zu verteidigen.