Die
Bitburgaffäre

»Warum gab es keine großen Demonstrationen?«, fragte Moishe Postone 1985 in einem offenen Brief an die deutsche Linke. Der Historiker brachte damit seine Enttäuschung über das Desinteresse der bundesdeutschen Linken an dem Treffen zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und US-Präsident Ronald Reagan in Bitburg zum Ausdruck. Die Politiker hatten gemeinsam den Soldatenfriedhof in Bitburg besucht, wo neben Wehrmachtssoldaten auch SS-Leute – Beteiligte am Massaker in Oradour – beigesetzt sind.

Vor allem ehemalige NS-Verfolgte in den USA kritisierten diesen als Versöhnungsgeste ehemaliger Kriegsgegner gedachten Staatsakt, da sich das US-amerikanische Staatsoberhaupt auf die Seite der Opfer und nicht auf die Seite der Täter*innen stellen solle. Seitens der nicht-jüdischen deutschen Linken gab es jedoch kaum Kritik. Postone kritisierte diese Linke, sich bei Reagans Besuch drei Jahre zuvor mit 400.000 Menschen an einer Friedensdemonstration in Bonn gegen Aufrüstung beteiligt zu haben, aber das Bitburger Treffen nicht als Ausdruck der Erinnerungsabwehr, Verdrängung und Normalisierung des Nationalsozialismus ernstgenommen zu haben.

Eine Demonstration, auf der Plakate gegen Ronald Reagan gezeigt werden.

Protest gegen den Besuch Ronald Reagans auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg, 1985. Foto: Elke Wetzing, commons.wikimedia.org (CC BY-SA 4.0)

Ramones-Cover »Bonzo Goes To Bitburg«

Während sich deutsche Linke mit der Problematik kaum auseinandersetzten, widmete die US-amerikanische Punkband »Ramones« dem Besuch Reagans sogar einen eigenen Song. Reagan wird hier Bonzo genannt, nach dem berühmten Fernseh-Affen, an dessen Seite Ronald Reagan in der Filmkomödie »Bedtime for Bonzo« spielte. In dem Song heißt es unter anderem: »You’re a politician / Don’t become one of Hitler’s children / Bonzo goes to Bitburg then goes out for a cup of tea / As I watched it on TV somehow it really bothered me / Drank in all the bars in town for an extended foreign policy« (Ramones 1986) Foto: Beggars Banquet Records, en.wikipedia.org

Foto einer demonstrierenden Person. Sie trägt ein Schild: »Why Mr. President?«

Demonstrant am 5. Mai 1985 auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg, auf dem auch SS-Mitglieder beigesetzt sind. Der Protest gegen den gemeinsamen Besuch von Helmut Kohl und Ronald Reagan wurde vor allem von Jüdinnen und Juden aus Belgien und Frankreich getragen. Auf dem Schild steht: »Warum Mr. Präsident? Warum besuchen Sie einen Friedhof, auf dem Mitglieder der SS begraben sind?« Foto: Elke Wetzing, commons.wikimedia.org (CC BY-SA 4.0)