Antisemitismus und
die Politik der Strasse
Reclaim
the Streets!
Demonstrationen sind ein wichtiges Mittel demokratischer Meinungsäußerung: Mit ihnen können politische Anliegen im Stadtbild sichtbar gemacht, politischen Gegner*innen Grenzen aufgezeigt und der Alltag unterbrochen oder sogar lahmgelegt werden. Ein wesentlicher Teil linker Politik war es, das Demonstrationsrecht einzufordern und zu verteidigen, und diese Auseinandersetzung wird beinahe auf jeder Demo im Kleinen wiederholt: Die Logik der Ordnungspolitik staatlicher Sicherheit kollidiert mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, es gibt Auseinandersetzungen mit der Polizei, die teils auch gewaltsam verlaufen.
Um möglichst viele Menschen auf die Straße zu bekommen, werden für Demonstrationen meist Bündnisse unterschiedlicher politischer Gruppierungen geschlossen. Immer wieder werden in Aktionsbündnissen dabei von Einzelnen oder von bestimmten Gruppen auch strukturell oder israelbezogen antisemitische Positionen vertreten. Zudem neigt die Politik der Straße unweigerlich zu Verkürzungen, die sich dann in Personalisierungen, unpassenden Vergleichen oder einer problematischen Bildsprache niederschlägt: Um Botschaften einprägsam zu vermitteln zu können, müssen Demoslogans und Transparente gesellschaftliche Problemstellungen herunter brechen – manchmal so stark, dass sie falsch werden oder sogar Antisemitismus kolportieren. Wird etwa bei Blockupy-Demonstrationen skandiert: »Brecht die Macht der Banken und Konzerne!«, vereinfachen die Protestierenden damit das kapitalistische Beziehungsgefüge bis zur Unkenntlichkeit. Statt das Produktionsverhältnis zu kritisieren, werden einzelne Akteur*innen verantwortlich gemacht, was anschlussfähig an antisemitische Ressentiments ist.
In solchen Momenten stellt sich auf Demonstrationen die Frage, ob der Antisemitismus erkannt und wie damit umgegangen wird. Wie viel Vereinfachung ist in Ordnung, bis sie in populistische Stimmungsmache umschlägt in das antisemitische Ressentiment? Werden problematische Parolen, Transparente oder Redebeiträge geduldet und vielleicht sogar begrüßt oder gibt es Kritik? Zerbricht das Bündnis daran oder wird die Kritik angenommen?