»Warum brennst du,
Konsument?«
»Warum brennst du, Konsument?«, heißt es auf einem Flugblatt der Kommune 1 vom Mai 1967, »Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelte zum ersten Mal in einer europäischen Großstadt jenes knisternde Vietnamgefühl (dabeizusein und mitzubrennen), das wir in Berlin bislang noch missen müssen.« Der Text bezog sich auf den Brand in einem Brüsseler Kaufhaus, bei dem kurz zuvor 262 Menschen gestorben waren. Zynisch versucht er, den Tod der Menschen zu rechtfertigen, indem er ihn an der Normalität des Sterbens in Vietnam misst. Vorausgegangen war dem Flugblatt eine Verdächtigung der BILD-Zeitung, Vietnamgegner könnten das Feuer gelegt haben.
Dem folgten tatsächliche Brandstiftungen in weiteren Kaufhäusern: Am 2. April 1968 zündeten die späteren Mitbegründer*innen der RAF, unter ihnen Gudrun Ensslin und Andreas Baader, zwei Frankfurter Kaufhäuser an. Der beteiligte Thorwald Proll gab Jahrzehnte später Auskunft: »Wir hatten bei allen Aktionen immer zwei Motive. Das eine war die verbrecherische Verflechtung der Amerikaner in den Vietnamkrieg, das andere war die Aufforderung zur Konsumverweigerung.« Es ist wohl kein Zufall, dass diese beiden Motive hier zusammen auftreten: Oftmals werden die USA mit der Sphäre des Konsums gleichgesetzt, sodass sich Konsumkritik auch immer gegen die USA zu richten scheint. In diesem Zusammenhang erscheint es dann logisch, ein Kaufhaus in Frankfurt anzuzünden, um gegen den Krieg der USA in Vietnam zu demonstrieren.
Antisemitische Stereotype wie der Griff nach der Weltmacht, der Kontrolle über alle »Finanzzentren« oder der ritualisierte Kindsmord werden gesellschaftlich akzeptiert, wenn sie auf die USA verschoben werden. Tobias Jaecker zufolge werden »antiamerikanische Deutungen im medialen Mainstream offenbar als völlig legitime Form der Kritik betrachtet«. Aus der Angst vor einer kulturellen Überfremdung (»Amerikanisierung«) spricht dann ein nationaler Chauvinismus, der sich kulturell und moralisch den USA überlegen wähnt.
Antiamerikanismus und Antisemitismus
Das antiamerikanische Ressentiment gegen die USA ist wenn auch nicht identisch so doch auf vielfache Weise mit Antisemitismus verflochten. Teilweise werden die USA als Chiffre eingesetzt, um antisemitische Bilder ungehindert verbreiten zu können: Antisemitische Klischees wie die Wurzel-, Skrupel- und Kulturlosigkeit, die Intriganz und Profitgier können heute ganz offen geäußert werden, wenn man sie mit US-Amerikaner*innen anstatt mit Jüdinnen und Juden assoziiert. Oft vermengen sich die Schuldzuweisungen auch: Es ist dann etwa von der US-amerikanischen Ostküste die Rede, und davon, dass dort vermeintlich sehr viele Juden leben würden, die im Finanzwesen aktiv seien. Oder die diplomatische Nähe zwischen USA und Israel wird genutzt, um die beiden Länder zu diskreditieren. Beide Ressentiments – Antisemitismus und Antiamerikanismus – richten sich gegen angebliche Verkörperungen der Moderne, Universalismus und individuelle Freiheit.
In Deutschland ist die Feindschaft gegen die USA häufig noch mit Antisemitismus verknüpft über die Abwehr deutscher Schuld. 1968 und darüber hinaus war eine beliebte Parole auf Demonstrationen »USA-SA-SS«. In dieser Verschiebung tauchen die Befreier von damals als die Täter von heute auf, was die eigene Schuld beziehungsweise die der Elterngeneration relativiert. Es wurde behauptet, der Krieg der USA in Vietnam sei mit den deutschen Verbrechen vergleichbar, was für einige entlastend wirken kann.