Universitäten zwischen
Kritik und Reproduktion von Antisemitismus

Die Theorie der Praxis

Die Universität ist ein ambivalenter Ort: Einerseits wurde hier durch Forschung maßgeblich dazu beigetragen, Antisemitismus als Ideologie zu verstehen. Andererseits brach sich hier aber auch Antisemitismus selbst Bahn – in Theorie und Praxis.

Im Nationalsozialismus war von den Universitäten kaum Widerstand ausgegangen, sondern sie hatten sich, im Gegenteil, in seinen Dienst stellen lassen: Jüdische Studierende und Lehrende wurden vertrieben und der nationalsozialistische Vernichtungswahn pseudowissenschaftlich legitimiert. Dennoch versprach man sich in der jungen Bundesrepublik von den Hochschulen eine demokratisierende Wirkung.

Einige jüdische Intellektuelle wie Max Horkheimer oder Theodor W. Adorno kehrten nicht zuletzt deshalb aus dem Exil nach Deutschland zurück, um diese Demokratisierung voranzutreiben. In das Land der Täter*innen zu remigrieren, ist dabei sicher niemandem leicht gefallen. Gershom Scholem schrieb 1949 an seinen Kollegen Hans-Joachim Schoeps: »Ich staune, dass sie in dieser Luft atmen können.« Gemeint war das personelle wie ideologische Fortdauern des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik. Dozent*innen begegneten auf den Universitätsfluren ehemaligen Kolleg*innen, die ihre Verfolgung mit unterstützt oder zumindest ignoriert hatten.

Tatsächlich ging von den Universitäten zunehmend eine Kritik nationalsozialistischer Kontinuitäten aus. Studierende lasen in großer Zahl Texte der Kritischen Theorie, die ihnen diese Zusammenhänge begreifbar machen und schließlich eine Anleitung zur revolutionären Transformation der Gesellschaft sein sollte. Allerdings immunisierte die Theorie nicht gegen Gefühlserbschaften aus dem Nationalsozialismus. Bisweilen galt die Beschäftigung mit Antisemitismus in der Praxis des revolutionären Eifers sogar als störend. Wie Rudi Dutschke, einer der Köpfe des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), lakonisch bemerkte:

»Wenn wir das anfangen, verlieren wir unsere ganze Kraft. Eine solche Kampagne ist von unserer Generation nicht zu verkraften, aus dieser Geschichte kommen wir nicht mehr heraus. Man kann nicht gleichzeitig den Judenmord aufarbeiten und die Revolution machen.«

»Antisemitische und
antizionistische Motive
werden intellektuell verbrämt
in die Theoriebildung integriert.«

Julia König