Postkolonialismus
als neuer
Antiimperialismus?
In München nahm 2015 einer der derzeit wohl populärsten Geisteswissenschaftler Afrikas, Achille Mbembe, den Geschwister-Scholl-Preis an. Mbembe lässt sich der akademischen Richtung der postkolonialen Theorie zurechnen, die Nachwirkungen westlicher Kolonialherrschaft erforscht und die Schrecken des Kolonialismus vor dem Vergessen bewahren will. Paradoxerweise finden sich allerdings auch in der postkolonialen Theorie immer wieder Elemente eines israelbezogenen Antisemitismus. So hält Mbembe den häufig bemühten Apartheids-Vergleich gegenüber Israel noch für verharmlosend:
»Doch die Metapher der Apartheid reicht nicht aus, um das israelische Trennungsprojekt zu erfassen. Zunächst einmal ruht dieses Projekt auf einem recht einzigartigen metaphysischen und existenziellen Sockel. Die darunterliegenden apokalyptischen Ressourcen und Katastrophen sind weitaus komplexer und geschichtlich viel tiefer verwurzelt als alles, was den südafrikanischen Calvinismus möglich machte.«
Israel soll hier also aus religiösen Gründen die Apokalypse bereithalten. Politiken, die sich auf postkoloniale Theorie beziehen, tendieren bei aller Sensibilität gegenüber Rassismus immer wieder dazu, ein dämonisierendes Bild von Israel zu zeichnen.
Kritiker*innen führen das darauf zurück, dass die Begriffe der postkolonialen Theorie bislang ungeeignet sind, die Eigentümlichkeit von Antisemitismus zu erfassen. Durch diese Leerstelle werden Jüdinnen und Juden zumeist nur als Weiße gesehen, die als solche schlecht Opfer von Diskriminierungen sein können.
Oft folgt der politische Aktivismus postkolonialer Theorie einer antiimperialistischen Interpretationsschablone, nach der Aggression grundsätzlich nur von ›westlich‹ konnotierten Konfliktparteien ausgehen kann, als deren hauptsächliche Vertreter Israel und die USA gelten.
Ist Israel ein Apartheidsstaat?
Insbesondere in Kreisen der Boycott-Divestment-Sanctions-Bewegung (BDS) wird Israel gerne mit dem südafrikanischen Apartheidsregime verglichen. Während der Zeit der rassistischen Apartheid in Südafrika bis 1994 wurden der schwarzen Bevölkerung Bürger*innenrechte vorenthalten: Sie waren von höheren Bildungseinrichtungen ausgeschlossen, hatten kaum politisches Mitspracherecht und wurden im Alltag brutal von der weißen Bevölkerung segregiert. Ein Boykott gegenüber Südafrika hat sich als politische Strategie als wirksam erwiesen, weshalb BDS sich gern auf diese Tradition bezieht.
Allerdings sieht die Situation in Israel anders aus als im Südafrika der Apartheid: Araber*innen studieren an israelischen Universitäten. Sie haben mitunter hochrangige Posten an Gerichten oder Universitäten inne. In Krankenhäusern arbeiten jüdische und arabische Mediziner*innen zusammen. Solches Miteinander wäre in Südafrika undenkbar gewesen. Etwa jeder fünfte Israeli ist arabisch-palästinensischer Herkunft. Sie haben in Israel die vollen Bürger*innenrechte und in der Knesset gibt es arabische Parteien. Ein Vergleich mit der Apartheid Südafrikas ist nicht zutreffend, denn er geht an der israelischen Realität vorbei und verharmlost letztendlich den institutionalisierten und brutalen Rassismus, der in Südafrika herrschte.