»Unser Kampf«
Am 10. Mai 1933 hielt Wilhelm Vesper eine Festrede bei der Bücherverbrennung in Dresden. Er gehörte zu den 88 Schriftstellern, die das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler unterzeichnet hatten. Vesper wurde in den Folgejahren zu einem wichtigen Kulturpropagandisten des ›Dritten Reiches‹. Sein Sohn Bernward Vesper, Mann von Gudrun Ensslin und späterer Autor des Romans »Die Reise«, arbeitet rund dreißig Jahre danach an der Herausgabe einer Will-Vesper-Gesamtausgabe. Darüber schreibt Ensslin, sie sei eine »Aufgabe für das nationale Deutschland«, und der ältere Vesper einer der »liebenswertesten, unterhaltendsten und geistreichsten Dichter, den Deutschland in diesem Jahrhundert besessen hat«. Was bewegt das linksradikale junge Paar, einen völkischen Blut-und-Boden-Autor neu aufzulegen?
Über 1968 herrscht die Erzählung vor, die jüngere Generation habe damals ihre Eltern über ihre Verstrickungen in den Nationalsozialismus zur Rede gestellt. Auch wenn dieses Bild sicher nicht ganz falsch ist – es gab diese Konfrontationen und die Kritik an personellen Kontinuitäten aus dem Nationalsozialismus – kann nicht angenommen werden, dass es sich dabei um eine gesamtgesellschaftliche Tendenz handelte. Der Historiker Götz Aly geht in seiner polemischen Interpretation von 1968 »Unser Kampf« so weit, dass seines Erachtens die Aufarbeitung des Nationalsozialismus eigentlich Anfang der 1960er mit Ereignissen wie den Frankfurter Auschwitz-Prozessen einsetzte, jedoch von der 68er-Revolte wieder unterbrochen wurde. Der Skandal, welchen der NS-relativierende Vergleich Alys auslöste – der Titel »Unser Kampf« spielt natürlich auf Hitlers »Mein Kampf« an –, verstellte zwar zunächst einen differenzierten Blick auf das Generationenverhältnis. Dennoch irritierte das Buch die alte These von der Konfrontation mit der Eltern.
Heute begreifen Sozialpsycholog*innen dieses Verhältnis vielschichtiger: In die Anklagen mischen sich Gefühlserbschaften und Entschuldigungen. Vor allem aber schien zwischen den Generationen hauptsächlich Schweigen zu herrschen. Die zwölf Jahre des Nationalsozialismus wurden in den Familien oft dethematisiert oder zu Landsergeschichten und Selbstviktimisierungen umgedeutet. Gleichzeitig vererbten sich durch dieses Schweigen aber Gefühle: Der Antisemitismus und die völkische Ideologie der Eltern und Großeltern war nach 1945 ja nicht einfach verschwunden, sondern lebte mehr oder minder gut kaschiert fort – auch in den Folgegenerationen, wie die Beispiele Vespers und Ensslins zeigen.