Von konspirativen
Wohnungen zum Terror

Im Sommer 2018 starb der politische Aktivist und ehemalige Bewohner der Kommune 1 Dieter Kunzelmann. Das Medienecho fiel gemischt aus. Eine prominente Grünen-Politikerin schrieb beispielsweise, sie habe viel von dem »beeindruckenden, kreativen und auch anstrengenden« Kunzelmann gelernt. Die linke Tageszeitung »Neues Deutschland« veröffentlichte eine unkritische Würdigung des Verstorbenen, die etwa vom Blockupy-Bündnis mit den Worten »Ein schöner Nachruf« verbreitet wurde. Andere verwiesen auf Schattenseiten seines politischen Wirkens: Kunzelmann war nicht nur »Bürgerschreck«, »umherschweifender Haschrebell« und »Politclown«, sondern auch militanter Antisemit.

Im November 1969 war er Mitbegründer der militanten linken Gruppe »Tupamaros Westberlin«, die sich am lateinamerikanischen Konzept der Stadtguerilla orientierte. Kunzelmann ließ sich Monate zuvor u. a. mit Georg von Rauch (nach dem das Rauchhaus in Berlin Kreuzberg benannt ist), Ingrid Siepmann »Bewegung 2. Juni« und Albert Fichter von der radikalen Palästinenser-Organisation Fatah in Jordanien im Umgang mit Waffen und Bombenbau ausbilden, um sich so auf den militanten antiimperialistischen Kampf in den Metropolen vorzubereiten. Zurück in Deutschland verübte die Gruppe am 9. November 1969 einen Bombenanschlag auf das Jüdische Gemeindehaus in Berlin. Der Anschlag zielte auf eine Gedenkveranstaltung anlässlich des Jahrestags der Novemberpogrome.

Der Bombenanschlag war eine eindeutig antisemitische Tat einer sich als linksradikal verstehenden Gruppe, die sich öffentlich zu einem Anschlag, nicht zuletzt auf jüdische Überlebende der NS-Verfolgung bekannte. Dass die von Albert Fichter positionierte Bombe nicht zündete, lag an einem Konstruktionsfehler. Zusätzlich wurden mehrere Mahnmale, die an die jüdischen Opfer der NS-Verfolgung erinnern, mit Parolen wie »Shalom und Napalm« und »El Fatah« beschmiert.

Ein maschinengeschriebenes Flugblatt mit dem Titel »Brief aus Amman«

Ende November 1969 wurde in der anarchistischen Zeitschrift »Agit 883« Kunzelmanns Brief aus Amman veröffentlicht. Kunzelmann, der sich zu der Zeit in Berlin aufhielt, schrieb dort: »Wenn wir endlich gelernt haben, die faschistische Ideologie ›Zionismus‹ zu begreifen, werden wir nicht mehr zögern, unseren simplen Philosemitismus zu ersetzen durch eindeutige Solidarität mit AL FATAH, die im Nahen Osten den Kampf gegen das Dritte Reich von Gestern und Heute und seine Folgen aufgenommen hat.« Der Aufruf zur Gewalt gegen Israelis geht hier einher mit einer Täter-Opfer-Umkehr und einer Relativierung der NS-Verbrechen. Foto: Agit 883, Nr.42 27.11.1969

Im Bekennerschreiben heißt es dazu:

»Das bisherige Verharren der Linken in theoretischer Lähmung bei der Bearbeitung des Nahostkonflikts ist Produkt des deutschen Schuldbewußtseins: ›Wir haben eben Juden vergast und müssen die Juden vor einem neuen Völkermord bewahren.‹« Das Schuldbewusstsein für die deutschen Verbrechen gilt den linken Kämpfern als »neurotisch-historizistische Aufarbeitung« und als »hilfloser Antifaschismus«, während der »wahre Antifaschismus« in der eindeutigen »Solidarisierung mit den kämpfenden Feddayln« bestehe. Auch NS-Vergleiche fallen: »Jede Feierstunde in Westberlin und in der BRD unterschlägt, daß die Kristallnacht von 1938 heute tagtäglich von den Zionisten in den besetzten Gebieten, in den Flüchtlingslagern und in den israelischen Gefängnissen wiederholt wird. Aus vom Faschismus vertriebenen Juden sind selbst Faschisten geworden, die in Kollaboration mit dem amerikanischen Kapital das palästinensische Volk ausradieren wollen.«

Hier wird die Erinnerung an die Opfer der Shoah für illegitim erklärt – und sollte mit dem Anschlag gewaltsam verhindert werden. Zudem wird die Selbstverteidigung der Israelis gegenüber den umliegenden arabischen Staaten, die das Existenzrecht Israels nicht anerkennen wollten, mit der NS-Vernichtungspolitik gegenüber der jüdischen Bevölkerung gleichgesetzt.

Ein Zitat von Max Goldt

Max Goldt